Ex-Verfassungsrichter für mehr Rechte deutscher selbstständiger Bilanzbuchhalter

ReWeCo 2019: Ex-Verfassungsrichter für mehr Rechte selbstständiger Bilanzbuchhalter

Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof als Keynote-Speaker.

Mit der 14. Auflage seiner Kongressmesse für Rechnungswesen und Controlling kam der BVBC dieses Jahr nach Fulda. Vom 09. bis 11. Mai besuchten Finanzfachkräfte aus ganz Deutschland Fachvorträge, Seminare und Messestände von ausstellenden Branchenunternehmen. Zu den Highlights der diesjährigen Veranstaltung gehörte für viele Teilnehmer jedoch vor allem die Eröffnungskeynote des Verfassungsrechtlers Paul Kirchhof.

Für sein Jahresevent setzt der BVBC auf ein ausgewogenes Programm: Fachliche Updates, Produktneuheiten, Netzwerkabende und Keynotes, die in Erinnerung bleiben. Das gilt auch für die ReWeCo 2019. In diesem Jahr engagierte der BVBC den Verfassungs- und Steuerrechtler Professor Dr. Dres. h.c. Paul Kirchhof. Nach der Begrüßung durch BVBC-Präsident Jörg Zeyßig und Gundi Beckenbach, die den Landesverband Hessen (i.L.) als Co-Gastgeber repräsentierte, läutete er mit einem Keynotevortrag zur „Stellung des selbstständigen Bilanzbuchhalters unter veränderten Bedingungen des Rechts und des Marktes“ den ersten Veranstaltungstag offiziell ein.

Nachdem Kirchhof für die ReWeCo 2019 zusagte, wechselten er und BVBC-Geschäftsführer Markus Kessel noch einige E-Mails, bis der endgültige Titel der Keynote feststand. „Wir haben bekanntermaßen eine sehr klare Meinung – das Steuerberatungsgesetz benachteiligt selbstständige Bilanzbuchhalter in unverhältnismäßiger Art und Weise. Den Titel der Eröffnungskeynote hätten wir in diesem Sinne gerne auch etwas provokanter formuliert, aber keine Chance: Professor Kirchhof wollte sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Er könne sich in seiner Position nicht einfach so auf eine Seite stellen“, erinnert sich Kessel.

Umso überraschender: Während seines Vortrags bezog der ehemalige Bundesverfassungsrichter klar Stellung. Und zwar für die Gleichstellung selbstständiger Bilanzbuchhalter mit ihren angestellten Kolleginnen und Kollegen. Je mehr er sich mit dem Thema beschäftigt habe und die Unterlagen sichtete, die ihm der Verbandsgeschäftsführer zur Vorbereitung schickte, desto sicherer war er: die Einschränkungen des Steuerberatungsgesetzes seien überholt. Wer Gleiches gelernt habe, müsse Gleiches dürfen. Dabei spiele es auch keine Rolle, wer letztlich die Verantwortung trage – der selbstständige Bilanzbuchhalter selbst oder das Unternehmen, in dem der angestellte Bilanzbuchhalter tätig sei. In beiden Situationen sei es der Bilanzbuchhalter, der Entscheidungen aufgrund seines Know-hows treffe. Deren Folgen blieben dieselben, ganz gleich, wer diese in letzter Instanz verantworte.

Steuerberaterprivileg schränkt unternehmerische Freiheit ein

Kirchhof sieht aber nicht nur selbstständige Bilanzbuchhalterinnen und Bilanzbuchhalter benachteiligt. Das Steuerberaterprivileg schränke auch den Unternehmer in seiner Vertragsfreiheit ein. Es sei höchst problematisch, dass dieser nicht darüber entscheiden dürfe, wer ihn gegenüber den Finanzbehörden vertrete. „Schließlich darf er es auch selbst tun“ und „wie der Unternehmer es für richtig hält, ist es richtig“, so Kirchhof wörtlich.
Die unternehmerische Freiheit dürfe hingegen nur eingeschränkt werden, wenn dies von „überragend wichtigem Interesse für die Allgemeinheit“ sei. Weder sei das der Fall noch sei das Steuerberaterprivileg überhaupt dazu geeignet, Schaden von Unternehmen oder der Allgemeinheit abzuwenden.
Schließlich dürfe im Fall der Umsatzsteuervoranmeldung sowohl der Unternehmer selbst als auch ein von ihm angestellter Buchhalter diese abgeben. Insbesondere in Zeiten der Digitalisierung sei ein derartiger Eingriff in die Vertragsfreiheit des Unternehmers jedoch nicht haltbar. Der Einsatz gleicher Softwareprodukte schaffe bei selbstständigen Bilanzbuchhaltern und Steuerberatern identische Voraussetzungen.

„Wir hätten nicht damit gerechnet, dass Professor Kirchhof sich letztlich doch so klar auf unsere Seite stellt“, erklärt Kessel. „Insbesondere vor dem Hintergrund seiner früheren Tätigkeit als Verfassungsrichter messen wir seinen Positionen hohe Bedeutung zu – zumal er sie öffentlich äußerte.“ Die Keynote des Verfassungsrechtlers kam auch bei den Teilnehmern gut an, mit denen Kirchhof sich noch im Anschluss weiter austauschte. „Ich habe es bereits auf der Bühne angekündigt: wir wollen in Kontakt bleiben“, so der BVBC-Geschäftsführer.