Deutsche Gesetze diskriminieren Buchhalter

Tuesday 05.04.2005 09:43 Uhr
Rubrik: News

Frontal21

Die Buchhalter: Sie sitzen am Schreibtisch, sie addieren Zahlen, tagaus, tagein. Und doch ist das in Deutschland ein höchst gefährlicher Beruf. Und das Gefährlichste überhaupt dabei ist, dass die meisten Buchhalter selbst nicht wissen, wie bedroht sie sind. Und erst recht wissen sie nicht, warum sie bedroht werden.

02.11.2004

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Frontal21

Ohne Rechte

Die Buchhalter: Sie sitzen am Schreibtisch, sie addieren Zahlen, tagaus, tagein. Und doch ist das in Deutschland ein höchst gefährlicher Beruf. Und das Gefährlichste überhaupt dabei ist, dass die meisten Buchhalter selbst nicht wissen, wie bedroht sie sind. Und erst recht wissen sie nicht, warum sie bedroht werden.

von Günter Ederer, 02.11.2004

Im Industriegebiet von Pößneck in Thüringen steht ein kleines Containergebäude. Hier hat Jeanette Wiese ihr Büro. Zwei Buchhalterinnen arbeiten hier. Die Arbeitslosigkeit in der Region schwankt um 20 Prozent. Doch für sich wollte Jeanette Wiese dieses Schicksal nicht akzeptieren. Sie machte sich selbstständig und gründete eine Buchhaltungsfirma.

Unlauterer Wettbewerb

Eines Tages flatterte eine Anzeige ins Geschäft: Sie habe sich des unlauteren Wettbewerbs schuldig gemacht. Grundlage der Anzeige war ein Hinweis in den „Gelben Seiten“: Unter der Rubrik „Buchung laufender Geschäftsvorfälle“ stand auch ihr Büro.

Wiese erklärt das näher: „Da steht Buchhaltungsservice Jeanette Wiese. Verboten ist eigentlich nur, dass wir vergessen haben oder nicht hinzugefügt haben: Buchung laufender Geschäftsvorfälle und laufende Lohn- und Gehaltsabrechnung.“ Ob das alles ist, fragen wir nach. Sie bestätigt das.

Steuerberater oder Buchhalter

Zum allgemeinen Verständnis: Buchhalter dürfen laufende Buchungen, zum Beispiel von Bankkonten, in die Rubriken eintragen, die die Kosten eines Unternehmens ausweisen. Sie dürfen sogar die Mehrwertsteuer ausweisen. Aber sie dürfen diese Konten dann nicht mehr addieren. Und sie dürfen diese Tätigkeit nicht als Buchhaltung bezeichnen – aber nur, wenn sie selbstständig sind. Angestellte Buchhalter dürfen sich Buchhalter nennen.

So wird Jeanette Wiese verurteilt, muss sich einer Klausel unterwerfen, dass sie bei Strafe von 7500 Euro so etwas nie wieder macht. Bei diesem Urteil berufen sich die Richter auf die deutschen Steuergesetze. Darin gibt es viele Seiten, die den Beruf des Steuerberaters betreffen. Dabei hat der Gesetzgeber versucht, bis ins Detail jeden Handgriff zu regeln. Zum Beispiel, ob Steuerberater oder Buchhalter kontieren dürfen.

Per Gesetz geknebelt

Profiteure sind die in den öffentlich-rechtlichen Kammern organisierten Steuerberater. Für Thomas Hund von der Bundessteuerberaterkammer ist das in Ordnung: „Jeder Beruf hat das Recht, auch nach Regelungen zu suchen, die seinen Mitgliedern nützen.“

Weil das so ist, sorgen die Steuerberaterkammern dafür, dass die Buchhalter weiterhin per Gesetz geknebelt werden. Bernhard Ramann vom Bundesverband selbstständiger Buchhalter und Bilanzbuchhalter zeigt uns eine Kopie der Zeitschrift der Münchner Steuerberaterkammer. Stolz verweist die Kammer auf 33 Abmahnungen allein in den ersten zwei Monaten dieses Jahres.

Kampf um die Existenz

Wir blicken da nicht mehr durch, fragen Ramann, der es eigentlich wissen müsste: „Man muss immer dazuschreiben, wenn man sich Buchhalter nennt: Buchen laufender Geschäftsvorfälle, laufender Lohnabrechnungen und Fertigen der Lohnsteueranmeldung“, erklärt er uns. „Aber Buchhalter allein darf man sich nicht nennen?“, fragen wir nach. Ramann antwortet: „Das darf man nicht, da bekommt man klassischerweise eine Abmahnung. Man darf auch nicht schreiben: Selbstständiger Buchhalter übernimmt Buchhaltungen. Das ist ja auch die Tätig-keit. Man muss dazu schreiben: Buchen laufender Geschäftsvorfälle.“

Deutsche Gesetze diskriminieren Buchhalter (Teil 2)

In Neutraubling bei Regensburg treffen wir Buchhalter Ludwig Sinzinger. Er kämpft um seine Existenz: Denn er weiß nicht mehr so genau, was er machen darf, damit er nicht ein Fall fürs Sozialamt wird.

In seinem Briefkopf steht: Keine Steuerberatung. Das hat ihm auch nicht geholfen. Die Steuerberaterkammer findet aber immer wieder neue Formulierungen, die angeblich nicht verwendet werden dürfen.

Verstoß gegen das Europäische Recht

Sinzinger über seine Situation: „Jetzt darf ich wohl bald gar nichts mehr, weil die letzte Klage vom 13. Januar mir auch noch sagt, dass ich das Buchen laufender Geschäftsvorfälle, laufende monatliche Buchführung, laufende monatliche Lohnbuchführung auch nicht mehr machen darf. Jetzt kann ich praktisch nichts mehr machen.“ Um aber das ganze Ausmaß der deutschen Posse um den Buchhalter zu erfassen, müssen wir Deutschland verlassen: In ganz Europa gibt es nämlich nichts dergleichen. Deswegen verstößt die Verfolgung der Buchhalter durch die Steuerberater gegen Europäisches Recht.

Peter Deville (rechts) wollte nicht mehr als Buchhalter in Deutschland arbeiten.

Das hat Peter Deville genutzt. In Luxemburg, durch die Grenze vom deutschen Sonderweg geschützt, hat er ein Buchhaltungs- und Wirtschaftsberatungsbüro mit rund 300 Mandanten aufgebaut. Unglaublich, aber wahr: Er darf unumschränkt auch in Deutschland arbeiten. Denn ausländische Buchhalter dürfen in Deutschland nicht an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert werden. Deutsche Gesetze und Gerichte dürfen nur Deutsche mit deutschem Wohnort diskriminieren.

von Günter Ederer

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