Vertragsverletzungsverfahren: BVBC wendet sich mit Partnerverbänden an EU-Kommission – 12.02.2021

Im Juli 2018 hat die EU-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, weil die Vorbehaltsaufgaben des Steuerberatungsgesetzes nicht mit EU-Recht vereinbar sind. Beide Seiten scheinen sich nun auf Regelungen verständigt zu haben. Unklar soll noch sein, ob die Umsatzsteuervoranmeldung weiterhin zu den den Steuerberater*innen vorbehaltenen Tätigkeiten zählen soll. In einer Stellungnahme hat der BVBC am Freitag, 12. Februar 2021, an die EU-Kommission appelliert, nicht von ihren ursprünglichen Forderungen nach Deregulierung abzuweichen.

Gespräche, die der BVBC im Laufe des letzten Jahres mit dem Bundesfinanzministerium geführt hat, haben erkennen lassen, dass die Verhandlungen mit der EU-Kommission inzwischen relativ weit fortgeschritten ist. Doch außer Andeutungen wollte man keine Aussagen zu konkreten Inhalten machen – dies sei im laufenden Verfahren nicht möglich. Die jüngste Stellungnahme seitens der Bundessteuerberaterkammer und des Deutschen Steuerberaterverbandes macht jedoch deutlich, dass die Verschwiegenheit offensichtlich nicht für alle Seiten gilt. Dort heißt es u.a.:

„Nach unserem Kenntnisstand der laufenden Verhandlungen im gegenständlichen Vertragsverletzungsverfahren besteht derzeit zwischen den am Verfahren Beteiligten noch Diskussionsbedarf, inwieweit die Umsatzsteuervoranmeldung weiterhin zum Bestand der Vorbehaltsaufgaben der Steuerberater gehören soll.“ Worauf sich hinsichtlich der übrigen Reglementierungen geeeinigt wurde? Unklar. In einem Kommentar hat sich BVBC-Geschäftsführer Markus Kessel kritisch zu dem Verfahren und dem Schreiben der Interessenvertretung der Steuerberater*innen geäußert (hier gelangen Sie zu dem Kommentar vom 12.02.2021). 

Nachdem sich der BVBC zuletzt am 7. Oktober 2020 mit einem offiziellen Schreiben an die EU-Kommission gewandt hat, bekräftigte der Verband am Freitag, 12. Februar 2021, seine Eingaben und appellierte an Kommissionspräsidentin Urusula von der Leyen, die Deregulierung der Vorbehaltsaufgaben weiterhin einzufordern. In seiner Stellungnahme skizzierte der Verband insbesondere, weshalb das Verbot der Umsatzsteuervoranmeldung auch mit nationalem Recht unvereinbar ist. 

Das Schreiben an die EU-Kommission haben insgesamt 13 Partnerverbände mitgezeichnet. Sie alle setzen sich für eine Änderung des Steuerberatungsgesetzes und für mehr unternehmerische Freiheit ein. 

Die Stellungnahme im Wortlaut (zur PDF-Version):

Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission gegen Deutschland:
Vorbehaltsaufgaben der Steuerberater*innen widersprechen nationaler Verfassung und EU-Recht

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

zuletzt haben wir am 7. Oktober 2020 mit einem Schreiben an Ihr Generalsekretariat Stellung zum Vertragsverletzungsverfahren 2018/2171 bezogen. Unserem Kenntnisstand zufolge steht aktuell insbesondere die Umsatzsteuervoranmeldung (UStVA) als Vorbehaltsaufgabe der steuerberatenden Berufe im Fokus der Gespräche.
Als Berufsvertretung der in Deutschland tätigen angestellten und selbstständigen Fachkräfte im Bereich Bilanzbuchhaltung und Controlling setzen wir uns auf nationaler Ebene für eine Reform des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) ein.
Bereits 2015 haben wir ein 25 Seiten starkes Gutachten in Auftrag gegeben, das die Verfassungswidrigkeit des Verbots der UStVA darlegt. Wir möchten daher dringend an Sie appellieren, sich weiterhin für die Deregulierung der Vorbehaltsaufgaben von Steuerberater*innen einzusetzen und bitten um Beachtung folgender Ausführungen.

Aktuell: Privilegierung von Steuerberater*innen schadet Unternehmen in der Corona-Krise

Die Privilegien der Steuerberater*innen schränken nicht nur die von uns vertretenen Berufsgruppen ein, sondern auch zahlreiche insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen. In der aktuellen Corona-Krise leiden vor allem diese darunter, dass ihre Beraterschaft als selbstständige Bilanzbuchhalter*innen keine Anträge auf Corona-Hilfen stellen dürfen – auch dies bleibt den steuerberatenden Berufen vorbehalten. Die Bundesrepublik enthält der Wirtschaft so die nötige Unterstützung vor und sorgt durch die künstliche Verknappung der prüfenden und antragsberechtigten Stellen dafür, dass finanzielle Hilfen nicht rechtzeitig fließen.

Der Antragsprozess für Corona-Hilfen ist ein aktuelles Beispiel. Die Privilegien steuerberatender Berufe im Rahmen des StBerG führen jedoch seit vielen Jahren zu unverhältnismäßigen und verfassungswidrigen Einschränkungen.

Vorbehaltsaufgaben von Steuerberater*innen widersprechen auch nationalem Recht

Insbesondere selbstständige Bilanzbuchhalter*innen und Steuerfachangestellte werden durch die im StBerG geregelten Vorbehaltsaufgaben der Steuerberater*innen – etwa durch die Verbote der Umsatzsteuervoranmeldung (UStVA) oder der Einrichtung der Buchhaltung – in ihrer gemäß § 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützten Freiheit der Berufswahl und Berufsausübung eingeschränkt.

In zahlreichen Ausführungen beschreibt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das dem gesamten Grundgesetz und den Grundrechten zugrundeliegende „Prinzip von Grundsatz und Ausnahme“: Im Grundsatz ist jede Tätigkeit erlaubt. Das Verbot einer Tätigkeit hingegen ist eine Ausnahme, die als solche gerechtfertigt werden muss, da es ansonsten verfassungswidrig ist. Zudem dürfe es für die Beurteilung eines Eingriffs in die Berufsfreiheit grundsätzlich keinen Unterschied machen kann, ob eine Tätigkeit im Angestelltenverhältnis ausgeübt wird oder als Selbständige*r. Wie die Europäische Kommission in ihrer Gesamtbetrachtung bereits festgestellt hat, sind solche Verbote im Rahmen des StBerG jedoch weder verhältnismäßig noch kohärent.

Im Fall der UStVA gilt außerdem zu beachten:

  1. Die grundlegenden umsatzsteuerlichen Wertungen erfolgen nicht erst durch die (verbotene) UStVA, sondern bereits im Rahmen des (erlaubten) Buchens der laufenden Geschäftsvorfälle, auf deren Ergebnissen die UStVA basiert. Da heute sowohl Buchführung als auch Anfertigung der UStVA ausschließlich softwaregestützt und auf der Basis vorgegebener Kontenrahmen erfolgen, genügt ein Knopfdruck, um die UStVA zu erstellen. Korrekturen sind in der Regel nicht erforderlich. In der Praxis größerer Unternehmen und gerade auch in der Praxis der Steuerberater*innen wird diese Tätigkeit deshalb regelmäßig angestellten Buchhalter*innen, Bilanzbuchhalter*innen oder Steuerfachwirt*innen anvertraut.
     
  2. Die UStVA ist wie die (erlaubte) Lohnsteuer-Anmeldung keine das Kalenderjahr abschließende Steuererklärung. Sie kann im Rahmen der Jahresabschlussarbeiten überprüft und ggf. korrigiert werden. Wie das BVerfG bereits 1982 zur Lohnsteuer-Anmeldung ausgeführt hat (1 BvR 807/80), ist wegen des nichtabschließenden Charakters der Steuererklärung das Schutzbedürfnis der Steuerpflichtigen nicht so hoch wie bei einer das Jahr abschließenden Steuererklärung. Das Gericht kam daher zu der Wertung, dass es verfassungsrechtlich nicht angemessen ist, Buchhalter*innen die Anfertigung der Lohnsteuer-Anmeldung zu verbieten. Nichts anderes kann für die Anfertigung der UStVA gelten.
     
  3. Schwierige Einzelfälle rechtfertigen keinen Vorbehalt zugunsten der steuerberatenden Berufe. Dies geht aus den Wertungen des BVerfG in seinen Entscheidungen zum Buchen der laufenden Geschäftsvorfälle (1980; Az.: 1 BvR 697/77)) und zur Anfertigung der Lohnsteuer-Anmeldung (1982) hervor. Buchhalter*innen seien in der Lage, rechtlich schwierige Einzelfälle zu erkennen, so dass sie Auftraggeber*innen oder deren steuerlichen Berater*innen um eine entsprechende Anweisung bitten können. Dies genüge, um den Schutz der Steuerrechtspflege und der Steuerpflichtigen zu gewährleisten.

Zusammenfassend gilt festzuhalten, dass die vom BVerfG genannten Gründe in seinen beiden Entscheidungen zum Buchen der laufenden Geschäftsvorfälle und zur Anfertigung der Lohnsteuer-Anmeldung für die Verfassungswidrigkeit der früher insoweit geltenden und vom BVerfG aufgehobenen Verbote sich auf das Anfertigen der UStVA übertragen lassen.

Steuerberaterprivileg schränkt unternehmerische Freiheit ein

Die Vorbehaltsaufgaben des StBerG verfehlen nicht nur den Zweck des Schutzes der Steuerpflichtigen und des Steueraufkommens, sie schränken darüberhinausgehend auch Unternehmer*innen in ihrer Vertragsfreiheit ein. Es ist als höchst problematisch zu werten, dass diese nicht darüber entscheiden dürfen, wer sie vor den Finanzbehörden vertreten darf – insbesondere vor dem Hintergrund, dass sie sich, ggf. trotz Mangel an nötigen Fachkenntnissen, selbst vertreten dürfen.

Die unternehmerische Freiheit einzuschränken, ist jedoch nur dann rechtens, wenn dies von überragend wichtigem Interesse für die Allgemeinheit ist. Dies ist jedoch weder der Fall noch sind die Privilegien der steuerberatenden Berufe geeignet, Schaden von Unternehmen oder der Allgemeinheit abzuwenden. Schließlich dürfen etwa im Fall der Umsatzsteuervoranmeldung sowohl die Unternehmer*innen selbst als auch von ihnen angestellte Buchhalter*innen diese abgeben. Insbesondere in Zeiten der Digitalisierung ist ein derartiger Eingriff in die Vertragsfreiheit der Unternehmer*innen jedoch nicht haltbar. Der Einsatz gleicher Softwareprodukte schafft bei selbstständigen Bilanzbuchhalter*innen und Steuerberater*innen identische Voraussetzungen.

Keine Differenzierung nach fachlicher Qualifikation und Ausbildungsstandards

Obwohl das StBerG zahlreiche Ausnahmen (vgl. § 4 StBerG) aufzählt, findet grundsätzlich keine Differenzierung fachlicher Qualifikationen statt (vgl. § 6 StBerG). So zeigt sich die fehlende Systematik und Kohärenz des Gesetzes auch in der Behandlung selbstständig tätiger Bilanzbuchhalter*innen und Steuerfachwirt*innen. Sie sind in ihren Befugnissen Buchhalter*innen im Sinne des § 6 Nr. 4 StBerG gleichgestellt. Aufgrund ihrer beruflichen Ausbildung und Qualifikation verfügen beide Berufsgruppen jedoch über deutlich weitergehende fachliche Qualifikationen als diese.

Bilanzbuchhalter*innen und Steuerfachwirt*innen erlangen in ihrer Ausbildung Kenntnisse, die weit über das Buchen der laufenden Geschäftsvorfälle, die laufende Lohnabrechnung und das Fertigen der Lohnsteuer-Anmeldungen hinausgehen. Dennoch verbietet Ihnen das StBerG, diese Fähigkeiten im Rahmen einer selbstständigen Berufstätigkeit auszuüben, obwohl das BVerfG bereits vor über 40 Jahren festgestellt hat, dass Art. 12 Abs. 1 GG nicht zwischen dem selbstständig und dem unselbstständig ausgeübten Beruf unterscheidet. Das StBerG knüpft jedoch nicht an erworbene Kenntnisse an, sondern unterscheidet pauschal zwischen Buchhalter*innen, zu denen es auch Bilanzbuchhalter*innen und Steuerfachwirt*innen zählt, und vollqualifizierten Personen, wie Steuerberater*innen sowie Rechtsanwält*innen.

Deutsches Steuerberatungsgesetz muss dringend reformiert werden

Der Vorbehalt der Tätigkeiten von Steuerberater*innen im StBerG lässt sich weder durch besondere Komplexität begründen noch durch den Schutz von Gemeinwohlzielen. Ein Gesetz, das darüber hinaus sowohl mit seiner nationalen Verfassung als auch mit EU-Recht unvereinbar ist, und seinen vorgegebenen Zielen mittels seiner Regelungen nicht entsprechen kann, ist dringend reformbedürftig. Wir stimmen daher ausdrücklich den Hinweisen der Europäischen Kommission zu, die die Regierung der Bundesrepublik Deutschland zu Recht auf die fehlende systematische Stimmigkeit und fehlende Kohärenz des deutschen Steuerberatungsrechts und die daraus folgende Unverhältnismäßigkeit der gesetzlichen Regelungen in Deutschland aufmerksam gemacht hat. Wir möchten Sie daher bitten, die vorausgegangenen Hinweise bei Ihrer abschließenden Beurteilung zu berücksichtigen.

Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldung und stehen Ihnen gerne für ein persönliches Gespräch mit unserer Expertise zur Verfügung.

Mit ausgezeichneter Hochachtung

BUNDESVERBAND DER BILANZBUCHHALTER

UND CONTROLLER E.V.

Jörg Zeyßig

BVBC-Präsident

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Mitunterzeichner der Stellungnahme: